Experimentierraum 2

Hybride Mensch-KI-Schnittstelle

Im Experimentierraum 2 (EXR2) „Hybride Mensch-KI Nutzerschnittstellen“ wurde eine hybride Kundenservice-Schnittstelle durch die hsag Heidelberger Services AG entwickelt und durch die Stadtwerke Bretten evaluiert. Bei den Stadtwerken Bretten ist seit 2018 der hsag-Chatbot „Isa“ unter dem Namen Claudia im Einsatz und unterstützt die Arbeitnehmer:innen im Kundenservice. Die Erfahrungen im Kundenservice haben gezeigt, dass der Chatbot gerade in Zeiten hoher Anfragevolumina, wie zur Zählerstandserfassungs- und Abrechnungsperiode, stark unterstützt. Allerdings können Chatbots nach aktuellem technologischen Stand noch an Ihre Grenzen kommen, was Sprachverständnis oder die Bearbeitung aller, auch unbekannter, Anliegen angeht. Aus diesem Grund war es das Ziel des Experimentierraums, an den KI-Chatbot eine Schnittstelle zum menschlichen Kundenservice anzuschließen. Ein besonderes Augenmerk galt hier den Arbeitnehmer:innen im Kundenservice, deren Reaktion und Einschätzung des neuen technologischen Artefakts.

Der EXR2 startete Ende 2020 mit einer Bestandsaufnahme. Im Zuge des ersten Arbeitspakets wurden zunächst Interviews mit dem Kundenservice und dem Produktmanagement der Stadtwerke Bretten geführt. Mit Hilfe dieser konnte die hsag Einblicke in die Auseinandersetzung mit dem Chatbot als bestehende KI-Technologie sowie den Arbeitsalltag im Kundenservice erhalten.

Status Quo vor Projektbeginn EXR2

In den Startinterviews wurden einerseits Abläufe und Alltag im Kundenservice, die Wahrnehmung des Chatbots sowie von Künstlicher Intelligenz im Allgemeinen beleuchtet. Daneben wurden zum Projektbeginn Datenanalysen für den Chatbot vorgenommen, die einerseits in das zeitliche Aufkommen der Chatbot-Anfragen geben sollten, aber auch erste Erkenntnisse, an welchen Stellen in Endkunde-Chatbot-Gesprächen die Konversationen übergeben werden könnten und sollten.

Zusammenfassung der Ausgangssituation

  • Chatbots spielten im Kundenservice der Stadtwerke Bretten noch nicht die Hauptrolle, das Chatbot-Volumen wuchs aber.
  • Telefonie und persönlicher Kontakt waren die neben dem Chatbot wichtigsten Kanäle.
  • Die Bot-Beanspruchung lag bei ca. 30%  des Telefonvolumens.
  • Alter und Region wurden als mögliche Einflussfaktoren für die digitale Affinität der Zielgruppe genannt.
  • Gerade bei Problemen und komplexen Anliegen war menschlicher Kontakt gewünscht, z. B. bei der Rechnungserklärung oder bei Problemen mit Formularen.
  • Wahrnehmung des Chatbots im Kundenservice war noch gering (Chatbot agierte autonom).
  • KI-Technologie Chatbot, wurde noch nicht als „bedrohlich“ wahrgenommen, eher als „Azubi im ersten Lehrjahr“.
  • KI im Allgemeinen wurde in der langen Frist als disruptiv, kurzfristig aber als noch nicht so präsent wahrgenommen
  • Die Arbeitnehmer:innen im Kundenservice äußerten Sorgen hinsichtlich Integration des Live-Chats in den Arbeitsalltag.
  • Der Chatbot wurde zu einem hohen Anteil von 70-80% während der Service-Zeiten der Stadtwerke genutzt, eignete sich also für Übergaben.
  • Übergaben sollten nach den ersten Analysen vor allem bei Dialogsituationen, in denen Kunden und Kundinnen nicht weiterkommen, stattfinden, hierbei aber flexibel platzierbar sein.

Die Umsetzung des hybriden Live-Chats für die Stadtwerke Bretten begann neben Datenauswertungen mit der „Make or Buy“-Entscheidung hinsichtlich des Chat-Backends. Die hsag entschied sich bei dem Chat-Backend, also dem Interface, über das die Arbeitnehmer:innen im Kundenservice Chats entgegennehmen, für die Partnerschaft mit mehreren Live-Chat-Anbietern, um deren Erfahrung und Features mitzunutzen. In Folge dieser Entscheidung wurde die Anbindung des Chat-Backends der Live-Chat-Partner über Schnittstellen realisiert und weitere Features erarbeitet. Zuerst wurde ein Übergabedialog erarbeitet, der die Chatbot-Kundenservice-Übergabe einleitet. Dieser wurde darüber hinaus um eine Prüfung 1. der Öffnungszeiten und 2. der Verfügbarkeit erweitert. Des Weiteren haben die Arbeitnehmer:innen im Kundenservice die Möglichkeit, im Chat-Backend Gespräche weiterzuleiten, zu beenden oder mit vorgespeicherten Antworten zu arbeiten. Diese Funktionen wurden in Zusammenarbeit der hsag mit den Stadtwerken Bretten eruiert und erarbeitet.

Hybride Mensch-KI Chatbots

Hybride Mensch-KI Chatbots wie der für die Stadtwerke Bretten entwickelte sind meist so konfiguriert, dass die Interaktion standardmäßig mit dem Chatbot startet. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die den Automatisierungsgrad im Kundenservice erhöhen wollen. Daher folgen hybride Mensch-KI Chatbots typischerweise dem „Human-in-the-Loop“-Ansatz, bei dem Kundenanfragen zunächst dem Chatbot zugewiesen werden. Menschen werden erst dann involviert, wenn der Chatbot die Aufgabe nicht alleine lösen kann. Dadurch können Routineanfragen und einfache Fragen von einem Chatbot automatisch beantwortet werden, während komplizierte Anfragen und komplexe Fragestellungen einem Menschen zugewiesen werden, siehe Abbildung „Konzept des Hybriden Mensch-KI Chatbots“.

Im ersten Fall würden entsprechend unserer Konzeptualisierung Kunden und Kundinnen nur mit einem Chatbot ohne Beteiligung eines Menschen interagieren. Ein typisches Szenario hierfür stellt die Beantwortung von Routinefragen im Kundenservice dar. Im zweiten Fall würde ein Kunde nur mit einem Menschen ohne Beteiligung eines Chatbots interagieren. Dabei handelt sich dann um einen klassischen Kundenkontakt, in dem zwei Menschen direkt miteinander interagieren. In diesem Szenario kann ein Chatbot jedoch auch den Menschen unterstützen, beispielsweise durch die Bereitstellung von Empfehlungen (z. B. Antwortvorschläge) oder weitere Informationen über den Kunden (z. B. emotionale Zustände).

Konzept und Umsetzung des Hybriden Mensch-KI Chatbots

Ein zentrales Merkmal von hybriden Mensch-KI Chatbots ist, dass es nur eine gemeinsame Schnittstelle für den Kundenkontakt gibt. Das bedeutet, dass Kunden und Kundinnen über die gleiche Schnittstelle mit menschlichen Sachbearbeiter:innen oder mit einem Chatbot oder mit beiden interagieren können. Wie in allen hybriden Systemen ist auch hier der Entscheidungsprozess darüber, ob ein Mensch oder ein Chatbot eine Kundenanfrage bearbeiten soll, von entscheidender Bedeutung. Bei dem durch die hsag entwickelte hybriden Mensch-KI Chatbot (rechtes Bild) kann der Live-Chat flexibel und „anliegenbezogen“ platziert werden. Im obigen Beispiel wird der Live-Chat beispielsweise im Startmenü bereits angeboten, je nach Präferenz ist aber auch ein Live-Chat-Angebot bei vertrieblich relevanten erkannten Anliegen oder bei Erkennung einer Verstimmung oder Beschwerde der Kunden und Kundinnen platzierbar.

Final wurde der hybride Chat auf der Homepage der Stadtwerke Bretten im Juni 2022 installiert und durch die Arbeitnehmern:innen im Feldversuch mit echten Kundinnen und Kunden evaluiert. Die Erkenntnisse wurden in mehreren gemeinsamen Interviews erfragt, woraus folgende Learnings für die hybride Mensch-KI-Schnittstelle abgeleitet werden konnten:

  1. Konzept
    • Die KI/Chatbot sollte für häufig vorkommende Standardanliegen eingesetzt werden.
    • Menschen sind darüber hinaus hilfreich bei 1. KI-Versagen, 2. Komplexität (sprachlich/inhaltlich), 3. Emotionalen Kundinnen und Kunden und 4. Geschäftlich relevanten Anliegen, z. B. bei der Produktberatung oder einer Kündigung (siehe Beispiel unten).
  2. Interface für Kundinnen und Kunden

    • Wichtig ist, Transparenz herzustellen: Wer ist mein Gesprächspartner, KI oder Mensch? Wie lange muss ich insgesamt warten? Welche Kompetenzen hat der Chatbot?
    • Die Verfügbarkeit der Sachbearbeiter:innen sollte bei einer Übergabe von KI an Kundenservice abgefragt und berücksichtigt werden.
    • Die Übergabe findet bestenfalls medienbruchfrei statt, ist klar erkennbar und lässt die Handlungshoheit bei Kundinnen und Kunden (Übergabe als Angebot statt als Zwang).
  3. Interface für Arbeitnehmer:innen im Kundenservice

    • Für die Alltagstauglichkeit ist eine klare und laut Hinweisfunktion für neu eintreffende Gespräche auf Seiten des Kundenservice sehr wichtig
    • Für die einzelnen Arbeitnehmer:innen im Kundenservice ist es einfacher, möglichst wenige einzelne Interfaces im Arbeitsalltag gleichzeitig zu betreuen, z. B. durch ein Mult-Channel-Backend, das Mails, Anrufe und Chats zugleich verwaltet.
  4. Organisation
    • Lösungen wie der hybride Chat müssen ganzheitlich und konsequent implementiert werden, nicht nur als „Add-On“.
    • Besonders wirkungsvoll ist eine Einbindung vieler Arbeitnehmer:innen sowie weiterer Abteilungen, wenn ein neuer Kanal wie der Live-Chat erschlossen wird.
    • Eine Spezialisierung unter den Arbeitnehmer:innen im Kundenservice auf einen bestimmten Kanal ist im Arbeitsalltag hilfreich, lässt sich aber insbesondere bei größeren Energieversorgern mit hohem und konstantem Nachfragevolumen realisieren.

Implementierung des hybriden Chats aus KundInnen- und MitarbeiterInnnensicht: